Libra Deep Dive – pro | con | eine Übersicht

Logo Libra

Nach dem Studium des blockhain white papers (Stand Juli 2019) und einigen Gesprächen, fasste ich die Eigenschaften von Libra, sowie deren Implikationen zusammen. Warum Libra von mir solche Aufmerksamkeit in Form (von vorerst mal) einem, doch recht langen, Artikel bekommt? Libra könnte für uns alle große Auswirkungen haben.

Wer steht hinter Libra? Die Libra Association

Hinter Libra steht im Prinzip ein Verein, die Libra Association, mit Sitz in der Schweiz. Mitglieder sind derzeit unter anderem:
Facebook Inc., Visa, Spotify, Paypal, Vodafone, eBay, Mastercard, Stripe, Lyft, Uber, Coinbase, …
Dass der Verein in der Schweiz angesiedelt ist, dürfte wohl hauptsächlich an an den liberalen rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich Crypto liegen. Außerdem hat ein Verein den Charme, dass man ihn nur schwer für die Tätigkeiten seiner Mitglieder verantwortlich machen kann. So wäre es möglich, sich zu schützen, wenn zum Beispiel ein Mitglied des Vereins, wie etwa Facebook, nach US-Recht (Patriot Act) Daten herausgeben soll. Liegen die Daten beim Verein in der Schweiz, könnte so der Zugriff der US-Behörden verhindert werden.

Facebook selbst distanziert sich übrigens insofern von Libra, indem das Unternehmen eine 100%-Tochter gegründet hat, die sich um Libra kümmern soll. Facebook selbst will somit nur ein Mitglied im Verein sein, wie alle anderen. Ob damit eine Trennung der Infrastrukturen und Userdaten ebenso gut geschaffen werden, wie schon bei der Übernahme von Whatsapp versprochen (die Trennung hatte übrigens nicht lange Bestand), wird sich zeigen.

Mitglied werden

Um ein Mitlied im Verein zu werden, muss man recht potent sein – mindestens 10 Millionen USD muss man einzahlen um eine Stimme zu bekommen. Als Mitglied kann man – zumindest vorerst, Libra gibt im white paper (einem der derzeit vier) an, später offener zu werden – einen Node betreiben, Validator sein und damit Transaktionen prüfen und bestätigen und im Verein mitbestimmen. Dafür bekommt man Libra Investment Tokens, die auch gleich die Höhe die Dividende bestimmt, die ein Validator erhält.

Libra

Libra ist die “Währung”, oder besser das medium of exchange, mit der die Art und Weise, wie wir Zahlungen vornehmen, revolutioniert werden soll. Eine Währung ist Libra insofern nicht, als dass eine Währung – simpel gesagt – vom Staat anerkanntes Geld ist. Umgangssprachlich spielt das keine besondere Rolle, so lange sich ein Tauschmedium (medium of exchange) wie Geld verwenden lässt, benutzt man gerne mal die Bezeichnung Währung. Für Libra aber ist dieser Unterschied recht wichtig, schließlich haben Staaten ein großes Interesse daran, dass ihre Währungssysteme geschützt bleiben. Dies zeigt sich auch daran, dass allen voran in den USA Libra, das ja offiziell erst seit ca. 1 Monat existiert, bereits in den höchsten politischen Gremien wild diskutiert wird.

Libra Handling aus Usersicht

User haben in Libra einen Account. Dieser Accounts wird von den Vereinsmitgliedern erstellt und “verwaltet. Führt ein User Transaktionen aus, werden diese vom Validator geprüft und die Anzahl der Token in der Wallet des Users werden entsprechend angepasst, wenn die Transaktion aus Sicht des Validators ok ist.

Libra ist für User damit ebenso pseudonym wie Bitocin (man kennt nur die Accounts, nicht aber die User dahinter, wenn man Zahlungen im Ledger verfolgt). Die libra association verspricht übrigens, dass sie natürlich nicht einen Facebook-(Instagram, WhatsApp)Account mit dem-Libra Account verknüpfen will.

Für User wird sich Libra im Handling nicht wesentlich von anderen Cryptowährungen unterscheiden. Es ist aber davon auszugehen, dass man als User im Libra-Ökosystem eher selten kryptische Adressen zu Gesicht bekommt. Schließlich werden Zahlungen an einen Account geleistet und der kann auch gerne mal einen sprechenden Namen haben. Wer will, kann sich hier: https://dev.kulap.io/libra/#/ gerne mal durch ein simuliertes Ökosystem (ein proof of concept der Wallet) klicken.

Stable Coin Libra

Libra ist darüber hinaus ein “stable coin”. Stable coins wollen sich von anderen Cryptowährungen dadurch unterscheiden, dass sie die Volatilität zu klassischen Währungen (USD, EUR, YEN…) geringer halten, als dies bei Bitcoin der Fall ist. Dies wollen sie dadurch erreichen, dass stable coins nur dann geschöpft werden können, wenn zuvor ein Gegenwert hinterlegt wurde. Tether (ein anderer stable coin) versprach, dass ein Tether nur dann geschaffen wird, wenn zuvor ein Dollar hinterlegt wurde. Libra will hierfür einen “Basket of Assets” verwenden. Vermutlich werden Währungsreserven in USD, EUR, YEN vielleicht auch GPB und andere größere Währungen angelegt, um eine hinreichende Streuung des Baskets zu erreichen, der in seiner Kaufkraft relativ wenig schwankt. Durch die Mitgliedsbeiträge und die potenten Mitglieder dürfte die Association zum Start einen ausreichend großen Baskets schaffen um damit so viele Libra coins schaffen, dass es zu keinen Liquiditätsproblemen kommt. Dadurch dass User, neben dem Tausch von Dienstleistungen und Waren für Libra, dann Libra bekommen, wenn sie welche einkaufen (ich glaube nicht, dass man Bitcoin akzeptieren wird), wird der Basket auch weiterhin anwachsen.
Die Währungsreserven werden mit Sicherheit gut angelegt – alleine dies dürfte für die Mitglieder schon ein lukratives Geschäft werden. Tether hat sich übrigens im Laufe seiner Existenz erlaubt, das ursprüngliche Versprechen für jeden Tether einen Dollar als Reserve zu halten, zu brechen und hält nun diverse Reserven.

Vor- und Nachteile Stable Coin-Variante

Als Vorteil verspricht ein stable coin, dass man mit ihm Waren, Dienstleistungen und andere Währungen kaufen kann und dabei nicht einem so hohem Risiko (aber auch Chance) von Währungsschwankungsrisiken unterliegt.

Stable coins gehen auch davon aus, dass sie, durch die hinterlegten Werte, breitere Akzeptanz als Zahlungsmittel finden.

Mit einem stable coin kann man, je nach technischer Umsetzung, schnell Zahlungen ohne Intermediäre – Dienstleistern wie z.b. klassische Banken oder Western Union – durchführen. Akzeptiert der Verkäufer den stable coin braucht es weder Konto noch Mittler.


Die Nachteile von stable coins sind:

  • ein stable coin ist “nur” ein Versprechen, dass man für den stable coin eine entsprechende Menge der Reserve bekommt.
  • die Reserven unterliegen Wertschwankungen.
  • die Rate in der stable coins für eingelagerte Reserven geschöpft werden, ist nicht mathematisch definiert (wie zum Beispiel bei Bitcoin) – Inflation ist damit wahrscheinlicher. Tether trat mit dem Versprechen an, 1:1 an den USD gekoppelt zu sein. Im März 2019 wurde still und leise mit diesem Versprechen gebrochen und man nahm neben dem USD noch andere Vermögenswerte als Deckung auf. Überdies ist davon auszugehen, dass die hinterlegten Währungen weiterhin inflationieren, und damit auch der “stable” coin nicht so stabil ist, wie sein Name vermuten lässt. Im Prinzip sind stable coins mehr Verrechnungseinheit als Währung.
  • ist der stable coin groß genug, kann er massiv Geldpolitik betreiben. Ähnlich wie es Staaten heute tun, wenn sie Währungsreserven anhäufen. China zum Beispiel finanziert durch das Anhäufen von USD-Reserven massiv die Schulden der USA. Libra kann durch eine Verringerung der gehaltenen Reserven die USA damit auch unter Druck setzen.
  • nimmt als Reservern auch andere “reale” Werte als Währungen in den Basket auf, zum Beispiel Grundstücke, müssen diese Werte bewertet werden – was letzten Endes eine subjektive Schätzung ist.

Ein stable coin hat also – für manch einen use case – durchaus eine Berechtigung.

Wer entscheidet über Transaktionen? Wie dezentral ist Libra?

Derzeit ist Libra darauf ausgelegt, dass nicht jeder als Validator (im Bitcoin Netzwerk mit den Minern zu vergleichen) auftreten kann, sondern eben nur die Mitglieder des Vereins (proof of authority). Das bringt auch den Vorteil mit, dass es keinen aufwändigen proof of work zur Absicherung der chain braucht. Laut white paper, will man später auf proof of stake wechseln und damit das System offener gestalten. Diese Absichtserklärung ist mit Vorsicht zu genießen. Es muss nicht zwingend bedeuten, dass dadurch jedermann am Netzwerk als Validator teilnehmen kann. Das kann genau so gut bedeuten, dass unter den Mitgliedern des Vereins das eingelegte Kapital (in Form von gehaltenen Token) bestimmt, wer vom exklusiven Verein valideren darf und / oder welches Mitglied wie viel vom reward fürs Validieren einstreifen darf. Ein proof of stake-System riecht für mich allerdings gleich nach Oligarchie…

Im Libra Netzwerk sind es die Mitglieder Libra Association, die entscheiden wohin sich Libra entwickeln soll. Aber sie entscheiden auch, wessen und welche Transaktionen gültig (=erlaubt bzw. geduldet) sind. Also entscheidet ein Club der großen Player, welche sich in den Verein eingekauft haben, darüber wer ein Geschäft mit Libra abwickeln darf. Da die Anzahl der Vereinsmitglieder größer als eins ist, aber auch weit kleiner als die Teilnehmer in vergleichbaren peer-to-peer-Netzwerken (vgl. Bitcoin) ist Libra eher ein zentrales System als ein dezentrales.

Klassifizierung der Blockchain

Die Daten in der Blockchain (mehr dazu später) sind in Libra für alle lesbar, durch den proof of authority darf aber nicht jeder schreiben. Damit handelt es sich um eine permissioned public chain. Nachvollziehbar und verständlich, dass permissioned chains eher typisch sind für chains die von Unternehmen geführt werden.

Transaktionen ohne Blockchain?

Aufgrund des oben genannten Systems der Validatoren kennt Libra übrigens eine “klassische Blockchain”. Die Validatoren vertrauen sich gegenseitig. Ein Validator sammelt Transaktionen “seiner” User. Die Transaktionen werden geprüft: hat der User in seinen “Account” ausreichend Funds? Handelt es sich um eine kryptografisch gültige Transaktion? Und weitere übliche Prüfungen. Ist alles OK fügt der Validator die Transaktionen als Block kryptografisch gesichert dem public ledger hinzu. LIbra nimmt hier Anleihen an Hotstuff einem Leaderbased system: Ein Validator schlägt einen Block vor und die anderen prüfen ihn und akzeptieren den neuen Block.

Ein Vorteil, und gleichzeitig ein Nachteil, des accountgebundenen Systems ist, dass zum Beispiel eine Firma ihre Adresse (=öffentliche Kennung des Accounts) behalten kann auch wenn sie den private key zu eben jener Adresse verliert. Validatoren können eingehende Zahlungen auf eine alte Adresse (auf die man gar keinen Zugang mehr hat) einfach auf eine neue umleiten. Undenkbar im Bitcoin-Universum und ebenso toll wie bedenklich.

Libra will Byzantine fault tolerant sein. D.h. ein gewisser Anteil an Spielern im System kann boshaft handeln und das System funktioniert immer noch. Interessant bei Libras-Ansatz ist, wie man damit umgehen will, wenn ein Validator (böswillig oder unwissend) Transaktionen an den ledger anfügt, die malicious (z.b. Zahlungen auf veränderte Adressen umleiten) sind.

Smart Contracts

Libra kann auch smart contracts. Ein Unterschied zu Bitcoin – hier ist sind smart contracts zwar möglich aber im Vergleich zu Ethereum nur rudimentär. Libra ähnelt hier massiv Ethereum. Libra ist nicht nur darauf ausgelegt mit smart contracts umzugehen. Smart contracts werden in einer virtual machine (vm) durchgeführt und können in der eigens entwickelten Programmiersprache “Move” geschrieben werden. Zum Durchführen der smart contracts muss auch – ähnlich dem gas in Ethereum – eine fee gezahlt werden. Diese fee ist aber anfangs noch deaktivert und soll primär zur Regulierung des traffics verwendet werden. So lassen sich zum einen Attacken abwehren, aber auch neue Einnahmenquellen erschließen. Außerdem können contracts, deren fee nicht gezahlt wird, gelöscht werden, was durchaus auch Sinn hat, das spart Platz und ein contract, der nicht mehr vorhanden ist, muss auch nicht mehr geprüft werden.

Libras Vorteil

Durch den Verein, bzw. durch dessen potente Mitglieder im Hintergrund, kann Libra sehr schnell eine riesige Userbase ansprechen. Das hilft bei der Adaption.

Durch die prall gefüllte Kriegskassa kann Libra fokussiert entwickelt werden. Während bei Währungen wie Bitcoin ein Heer von Freiwilligen arbeitet (die hin und wieder gar nicht so freiwillig sind, da sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit an Bitcoin arbeiten und damit auch Interessen ihrer Arbeitgeber einbringen), arbeiten an Libra bezahlte dedizierte Entwickler. Während in Bitocin der Weg zu Entscheidungsfindung, wohin sich Bitocin entwickeln soll, oft ein demokratisch langwieriger ist (siehe block size debate die sich über Jahre zog und in SegWit und den Fork von Bitcoin Cash ein vorübergehendes Ende fand), bekommt Libra eine klare Stoßrichtung vorgegeben. Dies sorgt für eine schnelle Software-Entwicklung.

Die smart-contract-Funktionalität bietet zudem reichlich Möglichkeiten Libra für diverseste Use Cases zu verwenden, in eigene Systeme einzubinden und zu adaptieren.

Libras Nachteil

Libra ist nicht dezentral. Dadurch kann man Verantwortlichen leichter habhaft werden als einer Hydra wie Bitcoin. Das zeigt sich auch deutlich daran, dass Zuckerberg & Co vor US-Regierungsbehörden zitiert wurden und dort Rede und Antwort stehen durften*, ob sie denn eh nicht vor haben, eine Gefahr für bestehende Platzhirsche zu sein. Hier wird sich Libra schwerer tun als andere Kryptowährungen, die comunity driven entwickelt werden.

Libra ist eine Konzernwährung.

Libra ist eine von Konzernen geschaffene Währung. Die Regeln nach denen Libra funktioniert, werden vom Konzern geschaffen. Dies verschafft diesen Macht.
Auch die Möglichkeit zur Schöpfung einer Währung, die weltweit Anwendung finden kann, verschafft Libra eine potentielle Macht die noch nie zuvor so groß war. Wird Libra – aus Sicht der teilnehmenden Konzerne – ein Erfolg, wird Libra eine Machtfülle haben, die nicht mal die USA durch das Positionieren des USD als weltweite Leitwährung haben. So viel Macht sollte eventuell nicht in den Händen von share holder value getriebenen Firmen liegen.

*update am 16.10.2019: und auch daran, dass einige gewichtige Firmen (z.B. Paypal und Mastercard) den Verein verlassen haben, bevor er überhaupt so richtig ins Leben gekommen ist.

Disclaimer

Noch ist Libra in Entwicklung und auch noch nicht live. Es kann sich also noch einiges tun und das hier geschrieben (bis auf das Update stammt der Text aus dem Juli 2019) damit hinfällig sein. Außerdem kann ich mich, da ich bisher nur das Paper gelesen habe und keine praktische Erfahrungen mit Libra gemacht habe, natürlich auch in der einen oder anderen Beobachtung / Schlussfolgerung geirrt haben.

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